Bundesverband Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung
Der Bundesverband Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung (BACK) ist ein Zusammenschluss von Organisationen, die sich für die Belange von Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz einsetzen. Bei den Anlaufstellen im BACK handelt es sich um Ausgabestellen für den Anonymen Behandlungsschein, Clearingstellen, niedrigschwellige Ambulanzen und Stellen, die in eine medizinische Behandlung vermitteln.
Weitere Infos unter anonymer-behandlungsschein.de.
Handlungsleitfaden zur Umsetzung eines anonymen Behandlungsscheins
Theresa Zanders und Laura Eleana Bein von der Bauhaus-Universität Weimar haben in Kooperation mit verschiedenen Initativen, die selbst auf kommunaler oder Landesebene tätig sind, einen Handlungsleitfaden zur Gründung eines Anonymen Behandlungsscheins erstellt.
Den Leitfaden finden Sie hier.
Für kostenfreie Druckexemplare wenden Sie sich an: theresa.zanders@uni-weimar.de
Gesundheit ist ein Menschenrecht!
Jeder hat ein Recht auf Gesundheitsversorgung. Trotzdem haben Hunderttausende in Deutschland keinen oder nur beschränkten Zugang zu medizinischer Hilfe.
Es sind zivilgesellschaftliche Einrichtungen, die sich gezwungen sehen, medizinische Versorgung und Beratung für diese Menschen anzubieten. In ihren Anlaufstellen zeigt sich erst, wie groß die Zahl der Betroffenen ist. Der Staat kommt seiner menschenrechtlichen Verpflichtung nicht nach. Neben gesetzlichen Barrieren behindern sprachliche und administrative Hürden sowie Diskriminierungen den Zugang zum regulären Krankenversicherungssystem. Selbst wenn sie es leisten könnten, kann es nicht Aufgabe von Hilfsorganisationen sein, politisch geschaffene Versorgungslücken zu schließen.
Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) ist das Recht auf Gesundheit völkerrechtlich bindend festgehalten: Jeder Mensch hat das Recht auf das "jeweils höchste erreichbare Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit". Der Sozialpakt wurde 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. 164 Staaten haben ihn ratifiziert - darunter auch Deutschland.
Aus Rechten folgen Pflichten. Mit der Ratifizierung des Sozialpakts verpflichten sich Staaten verbindlich, das Menschenrecht auf Gesundheit zu achten, es vor Eingriffen durch Dritte zu schützen und praktisch umzusetzen. Das bedeutet, dass die Bundesregierung dieses Recht selbst nicht verletzen darf, indem sie zum Beispiel. bestimmte Gruppen von Gesundheitsdiensten ausschließt, es (zum Beispiel durch die Kontrolle privater Anbieter) schützen muss und aktiv dafür sorgen muss, dass das Recht für Einzelpersonen gewährleistet ist (indem sie zum Beispiel entsprechende Mittel bereitstellt oder praktikable Verfahren ermöglicht).
In den Allgemeinen Erläuterungen zum Recht auf Gesundheit führt das UN-Komitee für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aus, dass qualitativ hochwertige Gesundheitsdienste für jede/n im Zuständigkeitsbereich des Staates ohne Diskriminierung und ohne finanzielle Notlagen zugänglich sein müssen.
Das Recht auf Gesundheit ist eng verbunden mit anderen Menschenrechten. Denn man wird eher krank, wenn zum Beispiel das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, auf Nahrung, Wasser oder auf Bildung nicht gewährleistet ist. Umgekehrt bildet Gesundheit die Voraussetzung dafür, dass eine Person andere Menschenrechte wahrnehmen und am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilhaben kann.
Aber: Viele Menschen in Deutschland haben keinen Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung!
Zu den Betroffenen gehören:
Menschen aus anderen Ländern der EU
Wenn sie in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, haben viele Menschen aus anderen Ländern der EU Schwierigkeiten, Zugang zu Gesundheitsversorgung zu bekommen. Durch das Leistungsausschlussgesetz, das Anfang 2017 in Kraft getreten ist, sind Menschen aus den neuen Mitgliedsländern der Europäischen Union, wenn sie arbeitssuchend sind und seit weniger als fünf Jahren in Deutschland leben, von Leistungen nach SGB II und XII und damit de facto auch von medizinischer Versorgung ausgeschlossen. Sie erhalten für maximal einen Monat und nur einmal innerhalb von zwei Jahren Überbrückungsleistungen, die eingeschränkte medizinische Versorgung umfassen. Anschließend besteht - selbst in Notfällen - keinerlei Anspruch auf die Erstattung von Kosten für Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte oder Medikamente. Diese neue Rechtslage schiebt die Verantwortung auf die Ärzte und Ärztinnen ab und zwingt sie in ein Dilemma zwischen der Pflicht zu helfen und dem Kostendruck. Für die betroffenen Patient(inn)en kann dies lebensbedrohliche Folgen haben.
Menschen ohne Papiere
Schätzungen zufolge leben in Deutschland zwischen 180.000 und 520.000 Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Dem Gesetz nach haben sie Anspruch auf medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sie können diesen Anspruch jedoch nicht geltend machen: Wenn sie beim Sozialamt einen Krankenschein beantragen, ist das Sozialamt (nach §87 des Aufenthaltsgesetzes) verpflichtet, sie bei der Ausländerbehörde zu melden. Damit droht die Abschiebung. Viele Menschen suchen daher erst medizinische Hilfe, wenn die Krankheit schon weiter fortgeschritten und es vielleicht schon zu spät ist.
Asylsuchende
Während der ersten 36 Monate ihres Aufenthalts in Deutschland haben Asylsuchende nur einen auf akute Krankheiten und Schmerzen beschränkten Anspruch auf medizinische Versorgung. Weitere Maßnahmen müssen in oft langwierigen Verfahren individuell beantragt werden. Damit liegt der Anspruch auf medizinische Versorgung deutlich unter dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen, obwohl für diesen bereits gilt, dass das Maß des Notwendigen nicht überschritten werden darf.
Menschen ohne Krankenversicherung oder mit Beitragsschulden
Trotz der seit 2009 allgemeinen Versicherungspflicht in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung haben viele Menschen in Deutschland keinen Krankenversicherungsschutz oder erhalten aufgrund von Beitragsschulden nur sehr eingeschränkte Leistungen. Betroffen sind z.B. Selbständige, die sich die Versicherungsbeiträge nicht (mehr) leisten können, ehemals Familienversicherte, Rentner und Rentnerinnen mit einer geringen Altersversorgung und Wohnungslose.
Doch nicht nur die gesetzlichen Bestimmungen behindern den Zugang: Hinzu kommt, dass Menschen aufgrund verschiedener Merkmale diskriminiert und nicht in Praxen aufgenommen werden: Wohnungslose gelten häufig als nicht "wartezimmertauglich" und vermeiden den Arztbesuch daher oft viel zu lange. Rassistische Diskriminierung findet auch in Arztpraxen und Krankenhäusern statt. Darüber hinaus behindern sprachliche Barrieren oft eine angemessene Behandlung. Die zum Teil komplizierten bürokratischen Anforderungen zur Kostenerstattung sind für viele schwer verständlich.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um diskriminierende Hürden abzubauen und den Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten.
Die Allgemeinen Erläuterungen zum Recht auf Gesundheit vverlangen von den unterzeichnenden Staaten, dass sie eine nationale Strategie und einen Aktionsplan verabschieden, um die gesamte Bevölkerung in die Gesundheitsversorgung miteinzubeziehen. Es existieren bereits Vorschläge für Gesetzesänderungen sowie kommunale Modellprojekte, die Teil einer solchen Strategie sein könnten:
- Um Hürden beim Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu senken: Angepasste Informationen für alle Betroffenen bereitstellen, Anti-Diskriminierungs-Schulungen für Gesundheitspersonal durchführen, bürokratischen Hürden abbauen
- Clearingstellen schaffen, die prüfen, ob eine Person einen Anspruch auf Leistungen im regulären Gesundheitssystem hat, und Finanzierungsmöglichkeiten für Menschen ohne oder mit eingeschränktem Zugang zu gesundheitlicher Versorgung einrichten
- Leistungsumfang entsprechend der Gesetzlichen Krankenversicherung für Asylbewerber und Asylbewerberinnen bereits in den ersten 18 Monaten gewähren; eine elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete reduziert bürokratische Hürden in der Versorgung
- Sozialämter von der Übermittlungspflicht nach §87 Aufenthaltsgesetz ausnehmen
- Ausreichend Sprachmittler(innen) bereitstellen und finanzieren
- Das Leistungsausschlussgesetz für EU-Bürger/innen abschaffen
- Den Mindestbeitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung für Selbständige senken